Hallo Herr Schleicher, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Mein Name ist Frank Schleicher und ich war 12 Jahre Vorstandsmitglied im Kreisjugendring Weißenburg-Gunzenhausen in Mittelfranken. Davon sechs Jahre Vorsitzender. Demokratie und Kreisjugendring gehören für mich untrennbar zusammen.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Ich selbst habe Demokratie zum ersten Mal (mit 15 Jahren) in meinem Jugendverband, der Evangelischen Jugend, erlebt. Meine Meinung, meine Stimme war "wertvoll" und wurde gehört. Ich konnte etwas verändern und meine Vorstellung mit einbringen. Stolz bin ich heute noch darauf, dass die Evangelische Jugend in Bayern mit ihrem Aufruf zum Widerstand gegen die WAA-Wackersdorf im Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes vorkam - meine Stimme hat dazu beigetragen.
Als Jugendlicher zu erleben, dass man ernst genommen wird und dass man dadurch etwas verändern oder bewegen kann, hat mich so nachhaltig geprägt, dass Jugendarbeit zu meinem Beruf wurde.
In fast 20 Jahren Kreisjugendring habe ich Demokratie aus drei Perspektiven erlebt. Als Vertreter eines Mitgliedsverbandes, als Vorstandsmitglied und als Vorsitzender.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Es ist das Gefühl etwas verändern und "bewegen" zu können. Die tiefe Überzeugung, dass es kein besseres System gibt in dem man leben und sich entfalten kann und das Wissen, dass dies aber auch keine Selbstverständlichkeit ist und demokratische Strukturen nur durch die Beteiligung jeder/jedes Einzelnen erhalten bleiben.
Demokratie ist das Gegenüber zu Egoismus. Demokratie ist Teamwork. Demokratie heißt auch Verantwortung zu übernehmen.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Demokratie ist die Beteiligung (und lebt von der Beteiligung) Betroffener an Entscheidungsprozessen, im Rahmen  vorher definierter "Parametern" (Bei politischen Entscheidung bin ich z.B. beteiligt, in dem ich von meinem Wahlrecht gebrauch mache und so zumindest indirekt Einfluss auf die Politik der nächsten Jahre nehmen kann, bin ich damit nicht zufrieden, kann ich mich selbst aktiv politisch engagieren und ein Mandat übernehmen). Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ergebnisse eines demokratischen Prozesses wertvoller und umfangreicher und stimmiger ist als die Entscheidung einer einzelnen Person.
Wichtig ist, das Demokratie sowohl die/den Einzelnen und das Gemeinwesen im Blick hat und versucht hier die Balance zu halten. Ich denke, das ist die größte Schwierigkeit.

Seit wann gibt es Ihren Jugendring? Mit welchem Ziel wurde dieser gegründet?

Bereits kurz nach dem 2. Weltkrieg war der amerikanischen Besatzungsmacht klar, Vielfalt, Solidarität, Völkerverständigung, Gerechtigkeit, Partizipation – sind die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. Diese Grundwerte sind keine Selbstverständlichkeit, sondern müssen erlernt und geübt werden, gerade von kommenden Generationen. Das führte unter anderem zur Gründung des Bayerischen Jugendringes im Jahr 1947. Diese Werte tragen die Arbeit der Kreis-, Stadt- und Bezirksjugendringe und des Bayerischen Jugendringes bis heute, denn Jugendarbeit in Bayern ist freiwillig, ehrenamtlich, selbstorganisiert und zutiefst demokratisch. Jugendarbeit ist ein wichtiger Pfeiler unseres Gemeinwesens.

Welche demokratische Verantwortung trägt Ihr Jugendring?

Kreisjugendringe sind die Dachverbände der Jugendarbeit in den Landkreisen. Neben einer finanziellen Förderung der Mitgliedsverbände geht es in meinen Augen auch um die Förderung der Zusammenarbeit (über den Tellerrand der eigenen Jugendarbeit hinaus) und um Impulse und Aktionen die die Mitgliedsverbände zusammenbringen.

Wie lebt Ihr Jugendring Demokratie intern? Wie ist Ihr Jugendring demokratisch strukturiert?

Alle Anbieter von Jugendarbeit sind bzw. können Mitglied im Kreisjugendring werden. Je nach der Größe des Verbandes, bzw. der Gruppe(n) entsenden die Anbieter Delegierte in die zweimal jährlich stattfindende Vollversammlung. Aus den Delegierten wird die Vorstandschaft und die/der Vorsitzende und ihre/seine Stellvertreter*in gewählt. Das alles ist in der Satzung festgeschrieben.
Mir war es immer wichtig, die Vollversammlung bei Entscheidungen, die wegweisend gerade für die inhaltliche Arbeit des KJR sind an Diskussions- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Das hatte natürlich zur Folge, dass es bei so manche Vollversammlung recht spät geworden ist, weil es viel Gesprächsbedarf gab. Aber, Beteiligung schafft Verständnis und Verständnis schafft Beteiligung.
Auch in der Vorstandschaft war es mir immer wichtig, nicht alles auf den Vorsitzenden zu zentrieren (wie die Satzung das zum Teil vorsieht), sondern sich als Team abzustimmen (auch das kostet Zeit und Mühe einen Konsens zu finden) und Verantwortung auf viele Schultern zu verteilen.

Wie erreichen Sie möglichst alle Kinder und Jugendliche? Was ist wichtig, damit sich viele Jugendliche für unsere Gesellschaft, Vielfalt und Demokratie engagieren?

Ich bin der festen Überzeugung, dass (verbandliche) Jugendarbeit das beste Lernfeld für Demokratie ist, dass wir in unserer Gesellschaft haben können.
Wichtig ist, dass die Verantwortlichen (Hauptberufliche, Gruppenleitende, Mitarbeitende) das Thema "Demokratische Strukturen in unserer Jugendarbeit" ernst nehmen und (vor-)leben und dass Verantwortliche bereit sind, Zeit in eine "Kultur der demokratischen Entscheidungsprozesse" zu investieren. Das ist ein anstrengender Weg und setzt auch voraus, dass man als Verantwortliche*r auch mit Kompromissen in Bezug auf die eigenen Ziele leben muss.

Wie werden Jugendliche an Demokratie und Vielfalt herangeführt?

Für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, dass sie beteiligt werden und dass sie ernst genommen werden. Selbstwirksamkeit ist hier das Stichwort, es nützt nichts Jugendlichen zuzuhören und sie zu beteiligen, ohne dass sich darauf hin etwas verändert.
Kinder und Jugendliche müssen in demokratischen Prozessen als gleichwertige Partner verstanden werden.

Wie könnte Ihre Arbeit hinsichtlich der Förderung von Demokratie, Partizipation und Vielfalt in 5 Jahren aussehen?

Gerade die aktuell schwierigen Bedingungen zeigen, wie wichtig außerschulische Bildungs- und Jugendarbeit ist (nicht nur in Bezug auf gelebter Demokratie, Vielfalt und Partizipation).
Ich würde mir wünschen, dass Jugendarbeit in allen Schichten unserer Gesellschaft und bei allen Verantwortungsträgern den höchsten Stellenwert hat (oder zumindest den gleichen wie schulische Bildungsarbeit).

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

  1. Meine Freiheit hört da auf, wo die des/der Anderen anfängt.
  2. Ich stehe nicht immer im Mittelpunkt und muss nicht immer der/die Erste sein.
  3. Ohne die Beteiligung aller Beteiligten geht es nicht - ABER zum Reden gehört auch
    Handeln.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Demokratie ist das beste, was wir haben. Sie tut oft weh (andere Meinungen aushalten). Sie kostet Zeit (alle sind beteiligt). Sie ist manchmal enttäuschend (es braucht Kompromisse). Aber es lohnt sich!