Hallo Herr Gasteiger, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Ich heiße Ludwig Gasteiger und bin Geschäftsführer beim Kreisjugendring Dachau. Mit Jugendarbeit habe ich als Jugendlicher begonnen. Als Kreisrat bin ich im Landkreis Dachau ehrenamtlich politisch aktiv.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Ich habe – nicht bewusst – Demokratie praktisch schon in der Jugend intensiv erlebt. Mit Freundinnen haben wir einen Jugendtreff aufgebaut. Dann haben wir Festivals organisiert. Hier sollten natürlich alle Beteiligten die gleichen Mitspracherechte und Mitwirkungsmöglichkeiten haben: Jeder sollte sich nach seinen Fähigkeiten und Interessen möglichst frei einbringen können. Das war für mich selbstverständlich und dafür habe ich mich im Verein und später in anderen Bereichen auch eingesetzt.
Demokratie bedeutet für mich zuerst, alle Beteiligten und ihre Perspektiven ernst zu nehmen. Bei freiwilligem Engagement ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich auf ihre Art einbringen können – dann wird das Ergebnis bunter und besser.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Demokratische Beteiligung umfasst für mich, dass wir die Menschenrechte UND die Kinderrechte ernst nehmen müssen. Wir können in Gruppen und auf dem ganzen Planeten nur gut zusammenleben, wenn wir demokratische Formen finden, die das gemeinsame Aushandeln von Zielen für ein gutes Leben und für die dafür notwendigen Regelungen ermöglichen. Da ist noch sehr viel zu tun. Demokratie fördern bedeutet nicht nur, das Gegenwärtige zu bekräftigen. Wir müssen auch – auf allen Ebenen von der Familie und Schule, über die Kommune und die Wirtschaft bis hin zur EU und zur UNO – demokratischer werden und Demokratiedefizite überwinden.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Erst einmal muss jede und jeder, das Recht haben, seine/ihre Meinungen und Interessen zu vertreten. Es ist wichtig, dass mensch dieses Recht ausleben kann – ohne Angst haben zu müssen: Die Akzeptanz von Unterschieden und anderen Meinungen ist hierfür sehr wichtig. Demokratische Mitsprache, Mitentscheidung und Mitgestaltung ermöglichen ein respektvolles Miteinander und das Erleben von Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Das ist für alle Menschen lebenswichtig. Demokratie ist dann die Möglichkeit sich für sich und im Miteinander mit anderen entfalten zu können. Demokratie ist die Grundvoraussetzung für ein gutes Leben für alle.

Seit wann gibt es Ihren Jugendring? Mit welchem Ziel wurde dieser gegründet?

Die Jugendringe sind in Bayern nach dem 2. Weltkrieg eingerichtet worden – hier ging es nach der Erfahrung von Diktatur und dem Scheitern der Weimarer Republik darum, eine wehrhafte Demokratie mit aktiven, überzeugten Demokrat*innen zu etablieren. Das war ein Glücksfall für Deutschland. In vielen Bereichen haben die autoritären Strukturen, die Denke und teilweise noch die gleichen Personen, die in der Nazizeit auf diesen Posten waren, weitergewirkt. Das war ein großes Problem.
Demokratiepädagogik und praktische Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen auf der einen und dem Entgegenwirken von nationalistischen und ausgrenzenden Tendenzen waren immer die wichtigsten Ziele der Jugendringe. Dafür stehen wir auch heute noch ein.

Welche demokratische Verantwortung trägt Ihr Jugendring?

Demokratie ist nicht einfach ein System, das fertig ist und reproduziert wird (z.B. in regelmäßigen Wahlen). Demokratie braucht vor allem engagierte Menschen, die sich in der Politik, in Medien, der Zivilgesellschaft und auf der Straße engagieren. Es braucht aber auch Kritikfähigkeit. Junge Menschen müssen – neben dem Interesse für Politik – auch Urteilsvermögen entwickeln: Was ist demokratisch/rechtsstaatlich legitim? Wo gibt es Demokratiedefizite? Sie brauchen auch die Hoffnung, dass sich Engagement lohnt und dass nicht "alles irgendwie gleich (schlimm oder gut)" bleibt. Wir haben die Verantwortung, Verantwortungssinn zu vermitteln und Möglichkeiten der Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu eröffnen. Es ist unsere Aufgabe, junge Menschen zu ermutigen und zu ermächtigen.

Herr L. Gasteiger (Quelle: Privat)

Wie lebt Ihr Jugendring Demokratie intern? Wie ist Ihr Jugendring demokratisch strukturiert?

Bei uns gibt die Satzung des BJR (Bayerischer Jugendring) die Strukturen vor. Wir sind die Arbeitsgemeinschaft der Jugendorganisationen. Die entsenden ihre Delegierten auf unsere Vollversammlung. Diese entscheidet über alle wichtigen Arbeitsfelder, Trägerschaften, über die Jahresplanung und den Haushalt. Natürlich wählt sie auch unseren Vorstand und Vorsitzende*n. In den Jugendorganisationen ist die demokratische Selbstorganisation der Jugend das zentrale Prinzip. Darüber hinaus versuchen wir demokratische Beteiligung auch im Team aller Mitarbeitenden aktiv zu leben. Dazu haben wir ein Beteiligungskonzept und ein Beteiligungsteam. Unser Beteiligungskonzept sieht sehr weitgehende Mitwirkungsmöglichkeiten vor, die im Sinne einer lernenden Organisation, weiterentwickelt werden können.

Wie erreichen Sie möglichst alle Kinder und Jugendliche? Was ist wichtig, damit sich viele Jugendliche für unsere Gesellschaft, Vielfalt und Demokratie engagieren?

Es ist immer eine Herausforderung, Kinder und Jugendliche zu erreichen, so dass Sie die Angebote der Jugendarbeit und besonders auch die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten wahrnehmen. Wenn Kinder und Jugendliche erstmal erfahren haben, dass sie was bewirken können, haben sie meistens auch Lust auf diese Tätigkeit. Aber bis es dazu kommt, ist es nicht leicht. Wir können fast unsere ganze Arbeit als partizipative Jugendarbeit bezeichnen. Das spielt überall eine wichtige Rolle. In der Gemeindejugend- arbeit versuchen wir von der Freizeitgestaltung über das Jugendzentrum bis hin zum Jugendrat das Prinzip Mitwirkung stark zu machen. Das klappt überwiegend sehr gut. Es kommt da einfach drauf an, das mit einer ehrlichen und engagierten Haltung aufzuziehen und so den Jugendlichen zu zeigen, dass wir Sie und ihre Meinung ernst nehmen.

Wie werden Jugendliche an Demokratie und Vielfalt herangeführt?

Zuerst muss Kindern und Jugendlichen mit einer Haltung des Respekts und der Wertschätzung begegnet werden. Sie müssen in allen Lebensbereichen – besonders auch in der Schule – erleben, dass nicht zählt, wer der Stärkere ist, sondern dass die Gruppe nach der besten Lösung sucht und dass das bessere Argument zählen sollte. Erwachsene gewinnen an Autorität, wenn Sie ALLE Kinder und Jugendliche ernst nehmen und einbeziehen. Dafür müssen sie auch mit Haltung eintreten, wenn jemand ausgegrenzt oder diskriminiert wird. Es gilt, alle zu ermutigen, selbständig zu denken, aber auch die Meinung anderer und schließlich auch gemeinsam ausgehandelte Kompromisse zu akzeptieren.

Wie könnte Ihre Arbeit hinsichtlich der Förderung von Demokratie, Partizipation und Vielfalt in 5 Jahren aussehen?

Wir hoffen, dass wir unsere Arbeit in der Zusammenarbeit mit den Kommunen und mit den Schulen ausbauen können. Ganz besonders wichtig ist aus meiner Sicht eine demokratische Schulkultur zu stärken. Dann gilt es auch im Ganztag, der besonders in der Grundschule stärker ausgebaut wird, Kinderrechte, Beteiligung und die aktive Gestaltung der Lebenswelt stark zu machen. Wir hoffen, dass wir neben der Grundschule und der Gemeinde Karlsfeld noch weitere Partnerschulen und -gemeinden finden. Über das Modellprojekt Demokratische Schule wollen wir bundesweit modellhafte Formate entwickeln. Wir wollen aber auch eine Jugendkunstschule und eine Medienwerkstatt mit vielfältigen kreativen Beteiligungsmöglichkeiten aufbauen. Es gibt noch viel zu tun.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

  1. Ein demokratisches Manifest sollte alle Ebenen der Weltgesellschaft erfassen. Wir leben nicht mehr in einer Welt kleiner Gemeinschaften. Wir sehen, dass wir eine demokratisch gestaltete Weltgemeinschaft brauchen, um ein gutes Leben für alle und auch für künftige Generationen erreichen zu können.
  2. Viele Teile der Menschheit und der Tierwelt sind vom guten Leben ausgeschlossen. Wir brauchen daher nicht nur Menschen-, Frauen- und Kinderrechte sondern auch wirksame Tier- und Umweltrechte.
  3. Demokratie soll so weit wie möglich dezentral und lokal verankert sein. Auf globaler, regionaler und nationaler Ebene soll nur so viel wie nötig geregelt werden. Es braucht maximale Handlungsspielräume vor Ort. Nur dezentral kann Demokratie lebendig sein.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Demokratie und Partizipation eröffnen den Menschen die Möglichkeiten zur Entfaltung des guten Lebens (miteinander). Wir müssen für die Demokratie vor Ort und global kämpfen: Demokrat*innen aller Länder vereinigt Euch!