Hallo Frau Klaffki, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Ich heiße Marianne Klaffki und bin in München geboren worden. Ich habe 2 Kinder und bin hauptberuflich Regierungsbeamtin. Ich fungiere als stellvertretende Landrätin im Landkreis Dachau, Kreisrätin, Gemeinderätin und Schulverbandsrätin. Zu meinen Leidenschaften zählen Konzertbesuche und Reisen in fremde Kulturen.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

Vermutlich ging es mir, wie vielen anderen, dass im Kindesalter in der eigenen Familie demokratische Entscheidungen getroffen und dann auch bewusst erlebbar wurden. Genau kann ich mich an die spannende Frage der Auswahl des Urlaubsorts erinnern. Meine älteren Geschwister wollten Sonne und Party, mein Vater einen Städte- und Kultururlaub und ich als vier- oder fünfjährige ein Abenteuer. Die einvernehmliche Entscheidung fiel auf Granada. Die Alhambra mit ihrer gigantischen, mauretanischen Festung, der riesigen Weitläufigkeit der Anlage, den Bauwerken, wie aus tausendundeiner Nacht waren Kulturerlebnis und Abenteuer. Die verwinkelten Gassen der Stadt und das bunte Nachtleben haben meine Geschwister damals in den Bann gezogen. Hier habe ich zum ersten Mal bewusst erlebt, dass gemeinsam Kompromisse suchen und auch die Bedürfnisse anderer berücksichtigen, richtig Spaß macht und eine Gemeinschaft im positiven Sinn zusammenschweißt.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Da bin ich einfach familiär geprägt. Wir waren schon immer eine debattierfreudige Familie, in der die Lust am Mitmachen wachsen und sich entfalten konnte. Im übrigen gehört geduldiges Warten, dass andere ´mal etwas tun, eher nicht zu meinen hervorstechendsten Disziplinen. Gestalten macht Spaß, ist meine Erfahrung. Im Konzert mit anderen Probleme nicht als negativ und schwer lastend zu begreifen, sondern als Herausforderungen anzusehen, im Diskurs die beste Lösung zu finden und dann die größtmögliche Zustimmung für die Umsetzung zu gewinnen, ist ein sehr positives Momentum für alle, die sich daran beteiligen. Ich bin sehr, sehr froh, dass wir in einem Land leben, im dem Menschen frei und ungezwungen ihre Fähigkeiten und Talente einbringen und den demokratischen Gesellschaftsprozess prägen können.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, Art. 20 I GG. Ein kurzer Satz, der so inhaltstief und fundamental bedeutend ist für uns und die Wechselbeziehung zwischen Bürger:innen und Staat beschreibt. Demokratie bedeutet Achtung der Menschenrechte, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung, Unabhängigkeit der Gerichte, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, ein Mehrparteiensystem und freie, gleiche und geheime Wahlen. Ein Blick über den eigenen Tellerrand hinaus lässt schnell erkennen, welch ungemein wertvolles Privileg wir haben, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Fundament eines Zusammenlebens, das jedem Menschen seine Grundfreiheiten garantiert, gelegt und mit Leben erfüllt haben. Demokratie lebt vom Mitmachen und Mitgestalten seiner Bürger:innen. Sie garantiert und verkörpert universelle Werte, denen sie durch ihre Verfasstheit Lebens- und Schutzraum bietet. Nicht zuletzt auch deshalb ist es auch die Aufgabe seiner Bürger:innen die wehrhafte Demokratie durch das eigene Engagement zu stärken.

Welche Rolle spielen die Kommunen und die kommunale Politik Ihrer Einschätzung nach?

Die Kommunalpolitik hat die unmittelbarste Berührung mit den Menschen und ihren Bedürfnissen. Sie gestaltet in so vielfältiger Weise das direkte Lebensumfeld der Bewohner:innen. Es sind die Kommunen, die die soziale und die öffentliche Infrastruktur organisieren und bereitstellen. Die gesamte Bandbreite der kommunalen Daseinsvorsorge von der Sicherung der Verkehrswege über den Stromanschluss, der Abwasser- und Müllentsorgung, der Ausstattung der Schulen, der Versorgung mit Krankenhäusern, Bibliotheken, Kinderbetreuungseinrichtungen und Sportflächen,  dem Schaffen und Erhalten von öffentlichen Räumen für Kultur und Bildung einschließlich seiner kommunalen Angebote, dem Betreiben der Museen, dem Unterhalt öffentlicher Räume, Spielplätze, Uferbrücken und Stege, dem Bau bezahlbarer Wohnungen, der Integration generationenübergreifender Wohnformen, dem Ausbau des schnellen Internets, der klugen Setzung von Rahmenbedingungen für die Ansiedlung von Gewerbe mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, ressourcenschonendem Flächenverbrauch bei der Ausweisung von Bau- und Gewerbegebieten und vieles mehr umfasst das Aufgaben- und Zuständigkeitsspektrum der Kommunen und ihrer kommunalen, meist ehrenamtlich arbeitenden Mandatsträger:innen. Die kommunale Ebene begleitet damit kurz gefasst die Menschen von der Geburt bis zum Lebensende mit ihren vielfältigen Angeboten und Dienstleistungen

Was sind Ihre zentralen Aufgaben als Landrat? Welche demokratische Verantwortung ist mit Ihrem Amt verbunden?

Unser Landkreis ist geprägt von seinen Menschen und seiner Naturlandschaft. Ich sehe es als meine Aufgabe an unser vielfältiges Kunst- und Kulturleben und unsere Bildungslandschaft weiterzuentwickeln und mitzuhelfen, dass die Natur und die Biodiversität in unserem Landkreis stärkeren Schutz erhält. Als stellvertretende Landrätin komme ich mit vielen sehr unterschiedlichen Menschen und Personenengruppen ins Gespräch. Es gilt bei allen berechtigten und widerstreitenden Interessen einen Ausgleich zu finden, dazu trage ich gern meinen Teil bei.  Es ist auch an mir eine sehr klare und unmissverständliche Sprache zu sprechen, insbesondere jenen gegenüber, die in dunklen Klangfarben den rechtsradikalen Populismus versuchen gesellschaftsfähig erscheinen zu lassen. Das Vermächtnis des Zeitzeugen Max Mannheimer: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschehen ist, aber dafür, dass es NIE wieder geschieht", ist auch für mich Auftrag und Verpflichtung klar Position zu beziehen und unsere humanistischen Werte offensiv zu vertreten.

Wie erreichen Sie aktuell die Bürger:innen und wie können sie in Zukunft alle Bürger:innen erreichen? Wie beziehen Sie die Bürger:innen abseits der Wahlen in Entscheidungen mit ein?

Das persönliche Gespräch der ein- und nachdrücklichste Schlüssel und das effektivste Werkzeug, um zu erfahren, wo der Schuh drückt, wie sich Bedarfe weiterentwickeln und welche neu entstehen. Kommunalpolitik ist den Menschen am nächsten, weil sie vor Ort an der Basis am Arbeits-, Wohn- und Lebensort der Menschen präsent ist und den Pulsschlag der Bürger:innen am intensivsten erfahren kann.

Wo sind die Herausforderungen der Partizipation? Gibt es auch Grenzen der Partizipation und wo liegen diese?

Die Herausforderung ist zu identifizieren, in welchen Bereichen der diversen Themen- und Handlungsfeldern die Partizipation der Bürger:innen wirksam umgesetzt werden kann. Die Grenzen der Partizipation liegen dort, wo gesetzliche Vorgaben keinen Handlungs- und Entscheidungsrahmen ermöglichen.

Wann setzen Sie auf Beteiligung, wann entscheiden Sie lieber allein?

Die Fragen von grundsätzlicher und/oder zukunftsprägender Bedeutung können nur unter breiter Beteiligung der Bevölkerung beantwortet werden. Wie soll sich die eigene Heimatgemeinde weiterentwickeln? Will sie den Weg einer weitgehenden Versorgung mit regenerativer Energie durch Windkraft im Rahmen einer genossenschaftlichen Beteiligung ihrer Bürger:innen gehen? Soll der neue Stadtteil ganz autofrei mit vielen naturbelassenen Begegnungs- und Kulturflächen geplant werden? Aber auch die Themen der gemeinsamen Gestaltung der Zukunft müssen im gemeinsamen Diskurs mit allen erarbeitet werden:
Wie sieht die Arbeits- und Wirtschaftswelt der Zukunft aus? Welche sozialen, kulturellen und ökonomischen Aufgaben werden der Staat, die Stadt  und die Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert wahrnehmen? Wohin entwickelt sich unsere Demokratie und wie sehen die demokratischen Werkzeuge der Zukunft aus? Welche Rahmenbedingungen braucht es, um ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltig Wohlstand zu produzieren? Welche kulturellen Formen werden in der Lage sein, das soziale Gleichgewicht zu stärken? Welche Formen des Zusammenlebens und des Zusammenarbeitens braucht die humane Gesellschaft der nachwachsenden Generation?
Eines ist klar: Die Gestaltung des Zusammenlebens können nur Bürger:innen und Politiker:innen gemeinsam entwickeln, realisieren und mit Leben füllen!

Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?

KOMMUNIZIEREN, EINLADEN, HANDELN! Nichts geht über das Gespräch, die Einladung zum Mitmachen und das eigene Handeln. Zeigen, dass Mitmachen und sich einsetzen für das, wovon frau überzeugt ist lohnt und macht Lust sich daran zu beteiligen. Manche/r wartet auf die Einladung zum Mitmachen, deshalb ist das ermuntern auch dabei zu sein und die eigenen Fähigkeiten einzubringen, in vielfacher Hinsicht gewinnbringend.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Das demokratische Manifest hat auch die Aufgabe unsere demokratische Verfasstheit von heute zu schützen und Antworten auf neue Herausforderungen an unsere demokratische Gesellschaft zu geben. Meiner Überzeugung nach müssen folgende 3 Themen in einem Manifest 2021 beinhaltet sein:

das Recht der Menschen auf sozial und ökologisch nachhaltig hergestellte Güter und Dienstleistungen. Dieser Leitsatz impliziert den Schutz der Menschen vor Ausbeutung in den Herkunftsländern. In zahlreichen Ländern der Erde werden systematisch die elementarsten Rechte der Menschen verletzt und deren Arbeitskraft zu Lasten ihrer Gesundheit ausgebeutet. Das aktuell verabschiedete Lieferkettengesetz kann diesem  Missstand nicht wirksam begegnen. Dass Waren und Dienstleistungen unter Wahrung der universellen Menschenrechte hergestellt und erbracht werden, liegt auch in unserem ureigenen Interesse.

das Recht der Menschen in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben. Zwar wird die Wahrung der Schöpfung und der Schutz der Natur in unterschiedlicher gesetzlicher Ausprägung beschrieben, aber das Fortschreiten der Umweltverschmutzung und das Ausdünnen der Biodiversität konnte nicht verhindert werden. Es gilt also wirksame Instrumente zum Schutz unserer Umwelt zu implementieren, damit in verstärktem Maß auch die Bürger:innen ihr Recht auf ein Leben in einer gesunden und geschützten Umwelt einklagbar durchsetzen können.

Das Recht des Menschen auf digitale Selbstbestimmung: Das Internet und die Betreiber sozialen Medien greifen tiefer als je zuvor in die Privatsphäre der Menschen ein. Dies geschieht permanent und ungefragt. Der Missbrauch ist vielfach belegt und führt in Teilen zu erheblichen Verwerfungen zum Schaden einzelner Betroffener. Ein einklagbares Recht auf digitale Selbstbestimmung wäre ein Weg in die richtige Richtung.
Inhaltliche Allgemeinplätze hingegen gehören nicht in ein Demokratisches Manifest, weil sie der Bedeutung eines derartigen Grundwerks nicht gerecht werden können.

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Eine lebendige Demokratie braucht jungen Menschen, braucht Frauen und Männer jeden Alters, die in ihrer Vielfalt ihre Kompetenzen, Talente, Fähigkeiten und ihr Engagement für das Gemeinwohl einbringen.