Hallo Herr Heller, könnten Sie sich bitte in ein paar Sätzen kurz vorstellen:

Ich heiße Peter Heller und bin 63 Jahre alt. Ich habe 3 erwachsene Kinder und bin Jurist im Landesverband BUND Naturschutz in Bayern e.V.. Ehrenamtlich bin ich zusätzlich Sprecher des Runden Tisch gegen Rassismus Dachau e.V., der Vorsitzende des BUND Naturschutz der Ortsgruppe Dachau und sitze im Kreisrat für das Bündnis für Dachau.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

In der 7. Klasse durfte ich anlässlich der Wahl 1969 von Willy Brandt zum Bundeskanzler mein kleines Radio mit in die Schule bringen. Wir haben dann nach meiner Erinnerung (wohl in einer Deutschstunde) gemeinsam die Abstimmung live mitverfolgt.

Der Anfang der 70er Jahre war eine sehr politikbewegte Zeit. In Erinnerung sind mir das konstruktive Misstrauensvotum 1972 gegen Willy Brandt und die Diskussionen darüber. Und natürlich die Bundestagswahlen im Herbst desselben Jahres. Stolz habe ich den Button "Willy wählen" getragen. Er hat übrigens den Slogan "Mehr Demokratie wagen" geprägt...

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Wenn viele kleine Menschen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, kann sich das Gesicht der Welt verändern! (Afrikanisches Sprichwort, das Zitat wird auch Stefan Zweig zugeschrieben.)

Die Tatsache, dass Bürger*innen mit ihrem Engagement einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum haben, war für mich schon immer maßgeblich. Das gilt nicht nur für Wahlen. Ein wesentliches Instrument sind bei uns auf Landesebene die Volksentscheide. Über die "Bürgerinitiative (BI) Dachau Weniger Müll" beim Volksbegehren für ein "Besseres Müllkonzept" konnte ich 1990 erleben, wie in Bayern das damals modernste Abfall- und Altlastengesetz in Deutschland entstanden ist. "Mehr Demokratie" hat 1994 zur Einführung von Bürgerentscheiden auch auf kommunaler Ebene in Bayern geführt. Schließlich hat das jüngste Volksbegehren "Rettet die Bienen!" einen großen Schub in Richtung Verständnis für ökologische Zusammenhänge gebracht. Bei allen drei erfolgreichen Volksbegehren war ich Sprecher der jeweiligen Initiative im Landkreis und habe die große Begeisterung und vielfach auch parteiübergreifende Solidarität für die Sache erlebt.

Als Mitglied von "Mehr Demokratie" bin ich im Übrigen auch für die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden, wenn der verfassungsmäßige Rahmen klug gewählt wird.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Demokratie bedeutet gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an sie betreffenden Entscheidungen des Gemeinwesens.

Das kann über Wahlen - meist als Wählerin, ggf. anschließend auch als Mandatsträgerin -  oder direktdemokratische Prozesse (s.o. zu Volksbegehren) geschehen. Volksbewegungen (man denke an die Initiative "Wir sind Kirche" in der leider überhaupt nicht demokratisch verfassten katholischen Kirche) oder Bürgerinitiativen können zu verschiedenen Themen Entscheidungsprozesse ermöglichen. Aber auch die Möglichkeit, mit Abgeordneten bzw. Kommunalparlamentarier*innen direkt bestimmte Punkte besprechen zu können, ist ein wichtiges Instrument der faktischen Einwirkungsmöglichkeit in einer  Demokratie. Letztlich gilt: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."

Bei allem spielen eine freie Presse und öffentlich-rechtliche Sendeanstalten eine elementare Rolle. Kritische Berichterstattung und Meinungsäußerungen aus der Bürgerschaft etwa via Leserbriefe sind fundamentaler Bestandteil einer funktionierenden Demokratie.

Negativ formuliert: Diktatorische, oligarchische Elemente und Alleinherrschaftsfantasien haben in einer Demokratie keinen Platz.

Wann und warum wurde Ihre Organisation gegründet?

Der Runde Tisch gegen Rassismus Dachau wurde 2014 gegründet und ist seit 2015 im Vereinsregister eingetragen. Das mittlerweile leider (wieder) manifestierte Auftreten von Rechtsextremen in unserer Gesellschaft war maßgeblich für die Gründung des Runden Tisches, zumal am Lern- und Erinnerungsort Dachau...

Welches Ziel verfolgt Ihre Organisation und warum ist dies wichtig für unsere Demokratie?

Der Runde Tisch gegen Rassismus wird seit Anbeginn von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis getragen, dem es ein Anliegen ist, gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - in besonderer Ausprägung des Rassismus - einzustehen. Mit seinen vielen Einzelmitgliedern, insb. auch rund 50 Institutionen (einschl. Großer Kreisstadt Dachau und Landkreis Dachau und allen bei Gründung im Stadtrat vertretenen Fraktionen) und Religionsgemeinschaften steht der Runde Tisch offen gegen Rechtsextremismus.
Es ist wichtig, allen Menschen zu zeigen, dass unser Gemeinwesen Schutz gegen Strömungen benötigt, die den Staat und seine demokratische Verfassung aushöhlen wollen.

Welche Aktionen und Veranstaltungen organisieren Sie für die Erfüllung Ihrer Ziele? Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte?

Die erste Aktion war die Gastro-Initiative "Kein Platz für Rassismus", bei der sich Gastwirte in Dachau durch äußere Zeichen (Plakate, Schilder etc.) klar gegen Rechtsextremismus abgegrenzt haben.

Der Slogan des Runden Tisches lautet "Dachau ist bunt, nicht braun!" So haben wir eine Mahnwache gegen die Opfer von Hanau gestaltet. Insbesondere wendet sich der Runde Tisch seit Jahren immer wieder ganz konkret gegen die AfD, weil sie bundesweit rechtsextremistisch durchsetzt ist und unsere Demokratie aushöhlen möchte. Sobald diese Partei auftritt, sind wir zur Stelle, und viele Menschen machen mit.

Ein für alle Teilnehmenden überwältigendes Ereignis war im September 2018 die Kundgebung auf dem Ernst-Reuter-Platz. Etwa 2.500 Teilnehmende zogen friedlich durch Dachau-Ost mit abschließendem ökumenischem Friedensgebet. Äußerer Anlass für eine der größten Demonstrationen, die Dachau seit dem Weltkrieg erlebt hat, war Landtagswahl-Auftritt der AfD im Adolf-Hölzel-Saal. Kurz zuvor war ein ausländerfeindlicher Mob durch Chemnitz gehetzt und hatte die Demokratie so mit Füßen getreten...

Foto P. Heller auf der Demonstration gegen Rechts des Runden Tischs gegen Rassismus am 09.09.2018

Wie wird bei Ihnen intern Partizipation gelebt? Wie ist Ihre Organisation demokratisch strukturiert?

Der Runde Tisch trifft sich ca. alle zwei Monate im Plenum (während der Pandemie via Videokonferenz). So können alle relevanten Entscheidungen von allen Mitgliedern mitberaten werden. Wichtige Ad-hoc-Themen, die nicht bis zum nächsten Plenum warten können, werden über E-Mail-Abfrage zur Abstimmung gestellt.

Wo sehen Sie Grenzen und Herausforderungen der Partizipation?

In Strukturen mit mehreren Menschen müssen Entscheidungen getroffen werden. Hieran alle zu beteiligen, ist wichtig. Es darf dabei allerdings nicht zur Lähmung der Struktur kommen. Mit anderen Worten, irgendwann sollte ein Ergebnis feststehen. Hier bedarf es möglichst klarer Regeln zur Entscheidungsfindung, die auf die jeweilige Struktur zugeschnitten sind.
Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Es ist notwendig, den gewählten Vertreterinnen ihren durch Wahl eingeräumten Entscheidungsspielraum zuzugestehen. Andererseits muss es möglich sein, angemessen Kritik zu üben und in demokratischem Rahmen auf die Repräsentantinnen einzuwirken.
Diesen Spannungsbogen muss eine funktionierende Demokratie ermöglichen, wird ihn aber auch aushalten.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Unbedingt:

  • Menschenwürde
  • Gleichberechtigung in jeder Beziehung
  • Teilhabe

Auf keinen Fall:

  • Alleinherrschaft
  • Partikularinteressen
  • Rassismus aller Art

Zusammenfassend: Was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Demokratie wird von menschenwürdiger und gleichberechtigter Teilhabe am Gemeinwesen getragen. Wir müssen täglich fair für sie eintreten! Denn Rassismus und insb. Rechtsextremismus dürfen hier keinen Platz mehr finden.