Hallo Herr Batteiger können Sie sich und die Peerigon GmbH kurz vorstellen:

Mein Name ist Stephan Batteiger und ich lebe in Dachau. Ich bin u.a. einer von fünf Gründern  der Peerigon GmbH. Unser Unternehmen entwickelt Webanwendungen für nationale und internationale Kunden, zu denen sowohl Start-Ups als auch größere Konzerne zählen. Wir begleiten sie, wenn sie eine Vision in Form eines neuen Software-Projekts realisieren möchten. Zudem sind wir im Open Source Bereich tätig und halten Vorträge über die modernsten Web-Technologien bis hin zur Unternehmenskultur. Peerigon ist aus einem Freundeskreis entstanden, deshalb legen wir besonders viel Wert auf Zwischenmenschlichkeit und Beteiligung. Bei Peerigon kommt jede:r zu Wort und wird ernst genommen. Unsere Entscheidungen werden gemeinsam ausgearbeitet, von organisatorischen Fragen bis hin zu Themen bezüglich der Gehälter. Wichtig ist uns außerdem eine Unternehmenskultur, die “remote friendly” ausgerichtet ist. Alle Informationen werden digital bereitgestellt und aktuell gehalten. Dadurch bleibt jedes Teammitglied bei uns informiert und kann sich beteiligen.

Wo und wann haben Sie persönlich das erste Mal bewusst Demokratie erlebt?

In meiner frühen Jugend wünschten wir uns eine Halfpipe in Odelzhausen. Unser Bürgermeister bat uns, Unterschriften zu sammeln, um zu sehen, wie viele Jugendliche diesen Wunsch teilen. Daraufhin zogen wir von Haus zu Haus und sammelten auf diesem Wege schlussendlich genügend Unterstützer, um unseren Traum einer Halfpipe gemeinsam mit einem professionellen Halfpipebauer realisieren zu können. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass ich selbst etwas bewegen kann.

Was motiviert Sie, sich für mehr demokratische Beteiligung einzusetzen?

Jeder Mensch möchte glücklich sein. Ich persönlich weiß, was ich brauche, um glücklich zu sein. Jedoch weiß ich nicht immer, was meine Mitmenschen glücklich macht. Demokratie ermöglicht es, sich zu beteiligen, und erst dadurch werden die vielfältigen Wünsche und Bedürfnisse der einzelnen Individuen sichtbar. Dadurch kann etwas ganz Neues  entstehen. Die Welt unterliegt einem ständigen Wandel. Durch Demokratie wird sie immer ein Stück schöner und wir Menschen ein Stück glücklicher.

Was bedeutet für Sie Demokratie? Wie definieren Sie Demokratie?

Für mich bedeutet Demokratie zu allererst, dass mir bewusst ist, dass ich nicht perfekt bin. Ich bin nicht allwissend und wenn ich alle Entscheidungen alleine treffen würde, wäre das Resultat am Ende niemals so großartig, wie es das ist, wenn Entscheidungen gemeinsam im Team getroffen werden. Demokratie bedeutet für mich also, dass jede Meinung wichtig ist und dass wir gemeinsam durch Vielfalt und Kreativität zu guten Entscheidungen kommen können.

Quelle Peerigon GmbH, Fotograf Martin Augsburger

Welche Wege nutzen Sie, transparent gegenüber Ihren Mitarbeiter:innen zu sein? Und wie sieht bei Ihnen Beteiligung aus?

Wir versuchen den gesamten Prozess der Entscheidungsfindung transparent zu gestalten, solange die Transparenz nicht im Konflikt steht mit dem Schutz des Individuums.

Bei Peerigon hat jedes Teammitglied die Möglichkeit, seine oder ihre Ideen einzubringen. Diese werden in unserem Online-Verwaltungstool GitHub niedergeschrieben.

Im zweiten Schritt bilden unsere Mitarbeiter:innen eine Passion-Group, die sich im Idealfall aus verschiedenen Kolleg:inn:en mit diversen Meinungen zusammensetzt. In der Gruppe soll anschließend ein Konsens erarbeitet, Ziele definiert und ein Konzept mit Beschlussvorschlag erstellt werden. In dieser Phase können auch andere Teammitglieder den Stand online nachverfolgen und ihr Feedback dazu abgeben. Das Ergebnis wird dann dem gesamten Team bei unserem wöchentlichen Meeting vorgestellt. Hier haben die restlichen Kolleg:innen die Möglichkeit, nochmal Feedback zu geben.

Wenn durch das Feedback der anderen Teammitglieder keine gravierenden Änderungen am Konzept nötig sind, wird es an uns Gründer weitergegeben. Wir beschließen die Konzepte dann formal.

Falls unsere Mitarbeiter:innen Fragen zu komplexen Entscheidungen haben, nehmen wir uns die Zeit und erklären diese. Zum Beispiel im Anschluss unseres wöchentlichen Meetings oder bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken - bei unserer “Founders Coffee Hour”.

Gibt es für Ihre Mitarbeiter:innen die Möglichkeit anonymes Feedback zu geben?

Ja, wir nutzen ein Tool namens “Office Vibe”, damit können wir die Stimmung im Team abfragen. Regelmäßig erstellen wir Umfragen zu verschiedensten Themen, zu denen jedes Teammitglied meist ein anderes Empfinden hat. Dazu zählen beispielsweise Umfragen zur Öffnung des Büros nach dem Lockdown, aber auch Fragen zur Zufriedenheit mit unserem Gehaltsmodell. Auf der Grundlage des anonymen und öffentlichen Feedbacks unseres Teams können wir das Unternehmen weiterentwickeln, was letztendlich zu einer größeren Zufriedenheit am Arbeitsplatz beiträgt.

Wie werden bei Ihnen Entscheidungen getroffen? Wann entscheiden Sie in der Geschäftsleitung lieber allein?

Jedes Teammitglied soll den größtmöglichen Freiraum haben, selbst Entscheidungen zu treffen. Dazu kann es sich als Hilfe bei der Entscheidungsfindung an den bestehenden Beschlüssen orientieren, die in unserem WIKI zusammengefasst sind. Und an unseren gemeinsamen Werten, wie beispielsweise Nachhaltigkeit, Ethik oder Datenschutz. Dazu haben wir im Team Richtlinien ausgearbeitet.

Bei uns werden viele Entscheidungen, die das gesamte Team betreffen, durch Abstimmungen getroffen. Dazu haben wir kürzlich ein Tool entwickelt, das sich “Konsens.vote” nennt. Es ist für uns ein wichtiger Bestandteil um Lösungen zu finden, hinter denen möglichst das ganze Team steht.

Einmal im Jahr finden in unserem Team die Strategietage statt. Hier sammeln wir Punkte die “gut” und “schlecht” laufen. Die guten Punkte wollen wir erhalten und die schlechten verbessern. Diese Unternehmensstrategie beschließen wir dann als Gründer, da wir hierfür auch die Verantwortung tragen. Dazu gehören außerdem auch Dinge, die unsere Unternehmenskultur maßgeblich ändern oder größere finanzielle Auswirkungen haben. Prinzipiell möchten wir Gründer jedoch möglichst wenig im kleinen Kreis diskutieren und beschließen. Wir vertrauen unserem Team und sind von Jahr zu Jahr besser eingespielt.

Quelle Peerigon GmbH, Fotograf Martin Augsburger

Wie schaut die Partizipation / Beteiligung bei Ihren Kund:innen aus?

Da wir vor allem Software entwickeln, basieren unsere Entscheidungen auf einer agilen Methode. Grob zusammengefasst sieht diese folgendermaßen aus: wir setzen uns zunächst mit den Kund:inn:en zusammen und erarbeiten deren Vision, die Meilensteine und ein MVP (Minimal Viable Product). Die Anforderungen und Vorstellungen unserer Kund:inn:en bzw. Endkund:inn:en können sich während dieses Prozesses ändern.

Das agile Vorgehen ermöglicht es, auf diese veränderten Wünsche und die Änderungen des Marktes schnell reagieren zu können. Deswegen arbeiten wir mit Sprints. Ein Sprint dauert in der Regel zwei Wochen. Bei der anfänglichen Planung definiert das Projektteam auf Augenhöhe zusammen mit dem Kunden, was wir in diesen zwei Wochen erreichen können und wollen. Wenn dies definiert ist, beginnen wir mit der Entwicklung.

In der Regel treffen wir uns jeden Tag kurz online mit unseren Kunden. Wir berichten, was wir erarbeitet haben, wo wir blockiert sind und was wir am nächsten Tag noch erreichen möchten. Während dieses Prozesses kann sich der Kunde ständig die Ergebnisse unserer Entwicklung ansehen.

Nach diesen zwei Wochen machen wir eine Sprint Demo. Hier zeigen wir den Status quo. Wir reden ganz offen darüber, welche Aspekte wir in dieser Zeit realisieren konnten und welche nicht und lernen daraus. Dann beginnt der nächste Sprint mit der Sprint Planung. Und so arbeiten wir uns von Sprint zu Sprint zum Ziel.

Ungefähr einmal im Quartal machen wir eine Retrospektive, auch hier ist das Team und der Kunde vertreten. Wir decken auf, was gut gelaufen ist und wo es Probleme gab, und lösen diese. So werden wir und die Kunden ein eingespieltes Projekt-Team und die Software nimmt Gestalt an.

Welchen Effekt hat partizipative Entscheidungsfindung auf Ihr Unternehmen?

Wir kennen es gar nicht anders bei Peerigon. Als wir nur aus einem Gründerkreis bestanden und noch keine Mitarbeiter hatten, wollte jeder an allen Entscheidungen beteiligt sein. Genau das gleiche haben wir auch weiter gelebt, als wir mit dem Team gewachsen sind.

Ich für meinen Teil kann sagen, Peerigon wäre nicht so wunderbar geworden, wenn ich alle Entscheidungen selbst getroffen hätte. Es ist ein kreatives Team, das das Unternehmen weiterentwickelt und zusammenhält.

Entscheidungen, die vor über zehn Jahren bei uns getroffen wurden, sind heute noch Grundlage unserer Unternehmenskultur. Wer Dinge nicht gut durchdacht hat, der wird später immer noch dabei sein, an grundlegenden Themen zu arbeiten.

Da wir jährlich einen Strategieworkshop machen, bei dem  wir die positiven und negativen Dinge von Peerigon ans Tageslicht bringen, weiß ich, dass wir seit Jahren eines ganz besonders schätzen, und zwar das Team. Wir achten aufeinander, denn Partizipation bedeutet auch, dass der:die Einzelne im Unternehmen wahrgenommen wird. Partizipation ist aus meiner Sicht der Grund, warum es uns heute noch gibt und was uns heute besonders macht.

Was können Sie anderen Unternehmer:innen empfehlen, die einen partizipativen Weg einschlagen möchten?

Die Grundlage einer partizipativen Unternehmensführung ist es, zu verstehen, dass man nicht perfekt ist und einfach nicht alles wissen kann. Es ist das Team, das einen stärker macht. Eine weitere wichtige Einstellung ist, dass man voneinander lernen möchte und dadurch immer besser werden will. Schaffen Sie sich ein Tool an, es gibt auch viele kostenlose, mit denen Ihre Mitarbeiter:innen Ideen einbringen können. Fordern Sie sie aktiv dazu auf und zeigen Sie, dass Sie bei konstruktiver Kritik nicht nachtragend sind, sondern dass Sie sich freuen, da es somit eine Möglichkeit gibt, besser zu werden. Zu guter Letzt sollte Ihnen bewusst sein, dass in  Unternehmen nicht sofort alles umgesetzt werden kann. Geben Sie sich die Zeit und lassen Sie sich überraschen, wohin die Reise geht! Dann werden Sie niemand sein, der aus einer Machtposition heraus entscheidet, sondern jemand, der ein Orchester der Kreativität leitet.

Quelle Peerigon GmbH, Fotograf Martin Augsburger

Wie begeistern Sie Menschen für demokratische Werte? Wie fördern Sie Partizipation?

Ich habe Demokratie nicht spürbar in der Schule erlernt. Bei mir gab es damals gefühlt nur Frontalunterricht und jede Menge Input. Wie wahrscheinlich bei den meisten in meiner Generation. Partizipative Entscheidungen zu treffen muss aber erlernt und geübt werden. Dazu kommt, dass jede:r eine andere Vorstellung davon hat.

Für mich ist das entscheidendste Element das Onboarding. Hier habe ich die Möglichkeit, den neuen Teammitgliedern das Unternehmen vorzustellen, dessen Strukturen, die Ideen und die Entscheidungen von damals. In diesen Onboardings erzähle ich auch, wie bei uns Partizipation funktioniert, wie sich die neuen Mitarbeiter:innen ins Team einbringen können, wie ein Beschlussvorschlag aussieht, wer zu welchem Thema der oder die beste Ansprechpartner:in ist und wie sie ihre Punkte beim Weekly Meeting vortragen können. Ich begleite die neuen Teammitglieder durch ihr erstes Jahr bei uns mit dem Ziel, dass sie sich eigenständig und selbstsicher bei Peerigon einbringen können.

Wenn es ein allgemeines Demokratisches Manifest geben würde, welche drei Punkte sollten unbedingt enthalten sein und was sollte auf keinem Fall drinstehen?

Es gibt sehr viele Punkte, die wichtig sind. Ich denke, es ist entscheidend, welche innere Grundhaltung wir einnehmen. Folgende drei Punkte erscheinen mir jedoch am wichtigsten:

  1. Niemand von uns ist perfekt und allwissend. Wir möchten voneinander lernen und uns dadurch weiterentwickeln.
  2. Vielfalt ist ein wunderbarer Schatz und eine große Bereicherung für das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen. Wir wollen offen über unsere Wünsche und Ängste reden können.
  3. Gemeinsam finden wir bei unseren Fragen einen Konsens und arbeiten daran, dass wir und die zukünftigen Generationen glücklich sein können.

Zusammenfassend: was ist Ihr Statement zur Demokratie und Partizipation?

Es gibt zwei gute Wege des Zusammenlebens. Die Demokratie und die Liebe.

Ich liebe die Demokratie.